Lektion 2.1: WEGBESCHREIBUNGEN
Viele hatten die Via Örfla schon gesucht. Und viele hatten völlig entnervt einen Rückzieher gemacht, nachdem sie erfolglos nach dem Einstieg gesucht hatten. Aber wir hatten eine Beschreibung: Im Wald dem Bach folgen, nach der zweiten Brücke links, dann weglos zur Steilstufe, dann über den Bach, nach oben, weiter den Trittspuren folgen, dem Bach folgen… alles super… bis wir dann plötzlich in der Wildnis standen. Wir waren uns hinten und vorne nicht mehr sicher, ob wir richtig lagen. Die Urwaldstimmung um uns führte dazu, dass sich in meinem Hirn einige Synapsen ganz unglücklich verknüpften. Könnte es sein, dass da oben auf dem Vorsprung dieses scheußliche Alien aus dem scheußlichen „Predator“-Film auf uns lauerte? Oder läuft es ab wie im „Blair witch project“? Werden wir tagelang im Kreis laufen und wahnsinnig werden, während uns irgendwelche Monster die Zähne ziehen? Kommen wir hier jemals wieder aus dem Wald raus?
Ohne Beschreibung keine Chance: Dschungel am Zustieg zur Via Amalia
Natürlich haben wir den Klettersteig gefunden. Zehn Meter weiter fanden wir das erste Stahlseil. Doch ohne eine Wegbeschreibung ist dieser Klettersteig kaum auffindbar. Und schon gar nicht kann man zufällig darüberstolpern.
Wegbeschreibungen sind sehr nützlich und es gibt sie dank des Internets in zunehmender Hülle und Fülle. Für die Älteren unter uns, die sich nicht mehr mit den neuen Medien auseinander setzen wollen, gibt es zudem einige wundervolle Klettersteig-Bücher.
Was ist eine Tourenbeschreibung? – In aller Regel ein
subjektiver Bericht über ein Bergerlebnis. Dazu bedient sich der Verfasser seines eigenen aktiven Wortschatzes, der je nach kulturellem und sprachlichem Hintergrund verschieden sein kann. Unter Umständen können die Begriffe „Rinne“, „Verschneidung“, „Kamin“ und „Couloir“ dasselbe bedeuten, nur weil verschiedene Autoren andere Worte dafür gebrauchen und sich vielleicht der echten Bedeutung des Begriffes gar nicht bewusst sind. Als ich begann, Klettersteig-Bücher zu schreiben, gebrauchte ich den Begriff „rolliger Schotter“, was bei den Mitautoren immer wieder zu Erheiterung führte.
Jeder Autor hat auch einen anderen bergsportlichen Hintergrund. Ein Wanderer wird dem Zustieg genauso viel Beachtung schenken wie dem Klettersteig selbst. Ein Botaniker oder Geologe wird viel Sehenswertes in der Umgebung erwähnen. Ein Kletterer beschreibt die Felspassagen ausführlich. Ein Techniker beschränkt sich auf die Erwähnung von Grunddaten und Wegpunkten. Ein Philologe wird möglichst blumige und passende Ausdrücke finden. Ein Schwärmer beschreibt den Sonnenuntergang oder den Schmetterling weit ausführlicher als den Klettersteig. Für den Gourmet oder Bierkenner sind die Hütten das Wichtigste.
Wenn zwei vom Gleichen reden...
Der Goldstandart für Klettersteigbeschreibungen sind gezeichnete Klettersteig-Topos. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte und tatsächlich kann ein Topo eine ellenlange Beschreibung ersetzen. Der
Schall-Verlag und der
Alpin-Verlag (beide Österreich) haben die Kunst der Klettersteigtopos populär gemacht. Die detailliertesten und schönsten Topos stammen von
real-adventure.eu. Auch auf klettersteig.de sind einige Topos vorhanden (besonders bei Schweizer Klettersteigen).
Ein Beispiel für ein Topo: Hier für die Via Ferrata Crete Rosse in den Karnischen Alpen
Klettersteig-Beschreibungen entbinden den Wanderer nicht davon, sein Hirn zu gebrauchen. Beschreibungen können mitunter fehlerhaft oder einfach auch überholt sein, weil der Weg oder Steig inzwischen saniert oder verlegt wurde. Jemand, der die Felswand runterstürzt, kann sich kaum mit dem Argument rausreden: „Aber laut Beschreibung sollte ich doch nach 247 m links abbiegen“. Allzu exakte und detaillierte Klettersteigbeschreibungen sollten ohnehin mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Sie sind fehleranfälliger und von Natur aus verwirrender und unübersichtlicher.
Die besten Klettersteig-Beschreibungen finden sich seit jeher in Büchern. Das liegt vor allem daran, dass Autoren mit – teilweise jahrzehntelanger – Erfahrung am Werk sind und sich auf Grund der zu erwartenden Einkünfte und des zu verlierenden Rufes auch mehr Mühe geben. Die Klettersteig-Atlanten des Schall-Verlages und die Bücher des Alpin-Verlages legen dabei Ihren Fokus auf die Vollständigkeit der technischen Daten und gelten als Nachschlagewerke. Dasselbe gilt für die beiden Klettersteig-Atlanten der Alpen von
Eugen Hüsler.
Die übrigen Bücher von Eugen Hüsler enthalten oft auch kleine Geschichten und Wissenswertes abseits des Stahlseils. Sie vermitteln ein besseres Verständnis über Geist, Kultur und Kulinarik der Gegend, in der man sich bewegt. Die Klettersteig-Führer des
Rother-Verlages sind etwas trockener, sind aber sehr handlich und passen gut in den Rucksack. Auf
www.klettersteig.de befindet sich in der Rubrik Informationen eine Übersicht über viele Klettersteigbücher.
Beschreibungen auf Websites haben den Vorteil, dass sie wesentlich aktueller sein können als die Beschreibungen in Büchern. Die Betonung liegt auf „können“. Es liegt natürlich daran, wie groß und fleißig das Heer an Autoren ist, welches die Beschreibungen anpasst. Ferner braucht es seitens der Autoren eine hohe Konsequenz, gemeldete Änderungen in die Beschreibungen einzufügen.
Oft sind Websites bei neuen Klettersteigen oder in abgelegenen Gebieten die einzige Möglichkeit, Daten über den Steig zu finden. Ein Wort zur Vorsicht: Die Beschreibungen im Netz werden oft anonym eingestellt und können von den Administratoren nur bedingt überprüft werden. Es ist selten, aber bösartiger Unfug – wie vorsätzlich falsche Steigbeschreibungen – ist natürlich denkbar. Das gilt nicht nur für Klettersteig-Beschreibungen, sondern auch für alles, was das Internet und das Fernsehen bietet.
Vorsicht, Vorsicht...