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THEMA: Am Everest nichts Neues...

Am Everest nichts Neues... 26 Mai 2019 08:20 #1

  • kletterkiki
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Diese Meldung hier kennt ihr sicher schon:

www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2...r-tote-ueberfuellung

Gestern habe ich auf Facebook sehr interessante Worte von Thorsten Kutschke (Moderator der Sendung Biwak) dazu gefunden.

"Alles "neu" im alpinen Mai... - oder alles Lüge?
Gedanken zu den Bildern dieser Tage
Von Thorsten Kutschke / BIWAK
Weil unlängst Entsetzen und Spott durch die Medien und sozialen Netzwerke schwappten mit Blick auf den Everest-SO-Grat am 22. Mai sei hier mal noch ein aktuelles Bild vom Manaslu gepostet - ebenfalls aktuell, ebenfalls ein 8000er. Nicht ganz so teuer wie der allerhöchste Jahrmarkt der Eitelkeiten, dafür vielleicht ein bißchen komplizierter zu besteigen, wenngleich die Luft etwas "dicker" sein mag.
Alle Jahre wieder erreichen uns solche Bilder von den 8000ern, ausgenommen vielleicht mal Kantsch, Annapurna und natürlich Chogori, weil dort selbst 5 Elefanten keinen Gelegenheits-Bergsteiger hinaufbuckeln könnten.
So neu, liebe Bergfreunde, ist das ja aber alles gar nicht mehr. Leider. Ich durfte - heute würde ich sagen "musste" - vor 14 Jahren mal den berühmten Everest um eine expedition zu begleiten und zu dokumentieren, die sich sogar "by fair means" auf die Fahne geschrieben hatte (auch vom Aussterben begriffen). Ich habe damals mit eigenen Augen gesehen, wie asiatische, amerikanische, aber auch deutsche Touristen neben dem Basislager gelernt haben sich ein Steigeisen richtig herum anzuziehen. Knoten mussten sie keine binden, das haben die Sherpas erledigt mit bewunderswerter Geduld.
Es war ein besch... Jahr am Everest. Ich hab am 3. Tag im Basecamp gesehen, wie die erste Leiche in einem Sack vom Berg getragen wurde. Ich habe miterlebt, wie nervös die Camping-Kleinstadt auf dem Khumbu-Gletscher zunehmend wurde, weil der Wind oben zu stark war. Das "Schlimme" war im Grunde nur vernünftig: Niemand wollte da als Erster hoch und für andere die Spur machen bzw. die Fixseile bis zum Gipfel legen. Womit wir auch bei "fair means" wären, was immer so ethisch-sauber und heldenhaft noch klingt: ohne künstlichen Sauerstoff und ohne Hochträger zum Gipfel! - Auch in solchen Lagern stehen Sauerstoff-Flaschen - und die bleiben nicht dort, sondern werden (von den Sherpas natürlich, die aber "Climbing Sherpas" genannt werden und nicht "Hochträger") bis in die Todeszone gebuckelt - "für den Notfall". Gegen Überlebens-Strategien ist ja nichts einzuwenden, oder? Publiziert wiird das freilich nicht, in die schmalbrüstigen Internetleitungen auf 5300m passen nur wohlfeil formulierte Heldengeschichten. Und wenn mal nicht der Chef selbst nach Hause telefoniert oder emailt, dann sitzt er zumindest daneben, hört mit oder schaut über die Schulter. Die Bilder in die Heimat müssen sauber bleiben, man hat das ja den allerwichtigsten Teilnehmern der Expedition so versprochen und verkauft: Den Sponsoren, für die das Höchste der Welt eben doch noch gerade gut genug ist um sich im Glanz der Höhensonne ein bißchen mit zu rekeln...
Tagelang wurde debattiert im Lager, welche der großen - ach so verteufelten! - "kommerziellen" Expeditionen sich denn nun endlich erbarmt, die Fixseile zum Gipfel zu legen, nachdem ein Sherpa-Team schon wochenlang den Eisbruch versichert hatte.
Kein "Held" und kein "besserer Alpinist" geht nämlich speziell am Everest überhaupt los, ehe die Strasse durch den Schnee und über den Grat nicht "gebaut" ist - egal ob er eine Maske trägt oder nicht.
Natürlich redet heute niemand mehr darüber, dass auch Messner und Habeler 1978 bei ihrem ersten Gipfelerfolg ohne Sauerstoff an diesen Seilen gegangen sind, gegangen sein müssen (daneben ist Abgrund). Das war ja damals trotzdem noch Pioniergeist, ein wagemutiges Abenteuer im Angesicht des Todes. Weil es eben auf seine Weise Neuland war.
Vor mehr als 2 Jahrzehnten hat John Krakauer schon beschrieben ("In eisigen Höhen"), wie der neuzeitliche Irrsinn am Dach der Welt 1996 in einer Katastrophe endete und warum. Gelernt haben daraus nur wenige - am meisten wohl die, die zu Hause bleiben. Am wenigsten die, die im nepalesischen Tourismus-Ministerium sitzen und Geld zählen. Und die, für die der Everest eben eine Sache des Egos ist, weil sie entweder berühmt werden wollen oder reich - hinterher mit Vorträgen und Motivations-Kursen.
Es kommt einem Wunder gleich, dass es diesmal nur wenige Todesopfer zu beklagen gab dort oben. Göttinmutter Erde hat sich wahrscheinlich genauso gähnend gelangweilt, wie viele der händchenhaltenden Sherpas im zweistündigen Stau.
Ich kann Euch nicht sagen, wie es einem geht da oben. Ich hab mich mal vor Jahren bis auf knapp 7000 geschleppt und gemerkt, dass ich dort nichts mehr verloren habe. Deswegen will ich nicht urteilen über die, die dort Schlange stehen. Jeder mag seine Gründe haben, jeder sein Publikum. Aber verkauft uns diesen Scheiß bitte nicht mehr als das ultimative Abenteuer!!!
Und verschont uns bitte mit schwülstig formulierten Berichten über Heldentum und Ethik.
Ich denke dieser Tage auch oft an 2004, als ich durchfallgeplagt mit einem "Leidensgenossen" durchs Diamir-Tal aufwärts schlich Richtung Nanga Parbat. Gerhard Bauer hatte auch was falsches gegessen offenbar, der famose Filmemacher und Alpinist aus dem Allgäu, by the way jener Mensch, der 1970 als letzter (abgesehen von Reinhold) den Günter Messner sah in der Rupalwand. Gerhard sagte mir damals sehr nachdenklich, fast resignierend: "Glaub mir, nirgends auf der Welt wird so viel gelogen wie im Höhenbergsteigen..."
Ich kann mir dazu kein Urteil erlauben, nur eine Ahnung gönnen. Ich werde es auch nicht nachprüfen, weil ich die Blogs der Helden nicht lese und weil wir mit BIWAK dieses leidige Thema eigentlich auch längst "beerdigt" haben. Da lob ich mir lieber einen Pavol Barabas aus der Tatra, der sich mal die Mühe gemacht hat, den wilden Tschechoslowaken der 70er und 80er Jahre mal richtig auf die Spuren zu kommen und auf den Zahn zu fühlen. Das war noch Alpinismus - mit allen Ecken und Kanten. Heute passiert dort oben (fast!) nur noch genausoviel Schrott wie Müll auf dem Südsattel liegen bleibt.
Letzteres sollte und MUSS uns interessieren als wirkliche Bergfreunde, alles andere - sorry - irgendwie schon gaaaanz lange nicht mehr..."
Quelle: www.facebook.com/plugins/post.php?href=h...3320085114&width=500
"Ich wurde oft falsch verstanden. Häufig unternahm ich Dinge, die für andere eine Provokation waren."
Walter Bonatti (1930-2011)
Letzte Änderung: 26 Mai 2019 08:22 von kletterkiki.
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Folgende Benutzer bedankten sich: Freddy63, Kletterzwergin

Am Everest nichts Neues... 27 Mai 2019 14:36 #2

  • Freddy63
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Hut ab! Diese Meinung nicht nur vertreten sondern sie auch kundzutun!
Möge uns BIWAK und seine Geschichten von den kleinen Helden noch lange erhalten bleiben!
MfG Dirk
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