Willkommen, Gast
Benutzername: Passwort: Angemeldet bleiben:
  • Seite:
  • 1

THEMA: Traurig aber wahr: Wir tunen uns den Berg

Traurig aber wahr: Wir tunen uns den Berg 30 Nov 2012 15:27 #1

  • kletterkiki
  • kletterkikis Avatar
  • OFFLINE
  • Carpe diem
  • Beiträge: 6259
  • Dank erhalten: 2555
www.derbund.ch/bern/region/Wir-tunen-uns...-Berg/story/12917694

"Auf dem Jungfrau-Ostgrat hockt dick und feist eine Richtfunkstation – sie wird allerdings, weil es mittlerweile Glasfaserleitungen gibt, nicht mehr gebraucht. Die Swisscom hat den grandios exponierten Bau den Jungfraubahnen angeboten. Diese überlegen sich, ihn für 50 Millionen Franken zu einem Restaurant umzurüsten. Der Jungfraubahnen-Direktor will «keinen Massentourismus», ihm schwebt ein exklusives Restaurant vor.

Gut möglich, dass man schon in fünf Jahren auf 3705 Meter über Meer gediegen aperiert und diniert bei überwältigendem Fernblick von Albis bis Monte Generoso. Die Jungfraubahnen hätten damit eine neue Unique Selling Proposition. Ein Alleinstellungsmerkmal. So ein luxuriöses Restaurant auf dieser Höhe kann man mit Superlativen vermarkten.

Im Ski-Simulator James Bond nachfahren

Die massgeblichen Gipfel im Land rangeln seit einigen Jahren verstärkt darum, dem Publikum etwas ganz Besonderes zu bieten, das ist augenfällig. Vor einigen Tagen wurde bekannt: Das Schilthorn, ebenfalls im Kanton Bern, das auch den globalisierungstauglichen Neo-Namen «Piz Gloria» trägt, soll attraktiver gemacht werden. Fünf Millionen wollen seine Manager in den nächsten Jahren in zwei Dinge investieren.

Erstens möchten sie den Blick auf die Dreiheit Eiger, Mönch und Jungfrau gezielter inszenieren; Genaueres verraten sie dazu derzeit nicht. Zweitens nutzen sie die Tatsache, dass für den James-Bond-Klassiker «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» (1969) auf ihrem Berg gedreht wurde. Eine interaktive Bond-Wechselausstellung soll eingerichtet werden samt einem Kino. Möglich ist auch ein Simulator, auf dem jeder quasi eine Verfolgungsjagd auf Skiern nachempfinden kann.

Mittelpunkt des Ausfluges bildeten die Berge selber

Ein Problem hiesiger Touristiker ist das schlechte Wetter – auch dies mag das Schilthorn-Projekt und ähnliche Unternehmungen motivieren; die Bahnbetreiber trachten danach, auch bei Regen und mittelmässiger bis mieser Sicht Kunden zu gewinnen und ihre Anlagen und Restaurants besser auslasten zu können. In Rigi Kaltbad öffnete daher heuer ein Thermalbad, ein fulminanter Bau von Mario Botta.

Grundsätzlich aber erleben wir einen Epochenbruch, was unsere Einstellung zu den Alpen angeht – die Art, wie wir sie sehen und nutzen, verändert sich grundlegend. Als die ersten Bergbahnen entstanden, führten sie die Leute einer simpel konzipierten Freude zu: Man stieg oben aus, fand ein Restaurant oder auch ein Hotel vor, meist war es rustikal. Den Mittelpunkt des Ausfluges bildeten die Berge selber: Sie standen für Stille, Seelenruhe, Erhabenheitsgenuss. Die Natur musste – oder durfte – ihrem menschlichen Betrachter genügen.

Die Hängebrücke verbindet nichts, was verbunden werden müsste

Nun ändert sich das rapid: Die Marketingleute möblieren die Bergwelt, um den Konsum gezielt zu steuern, zuzuspitzen, zu steigern. Etwa mit gruseligen Plattformen über dem schieren Nichts. Oder auch mit Adrenalin-Stegen. Die Titlis-Bahnen eröffnen demnächst eine 100 Meter lange Hängebrücke, laut Eigenwerbung die höchste Europas. Sie verbindet nichts, was verbunden werden müsste, sie ist ihr eigener Zweck, sie ist ein purlauterer Event.

Immer absurder

Schön die Formulierung eines Bloggers zum Trend, die alpine Welt zu möblieren: «Berg-Tuning». Freilich kostet es denjenigen viel Geld, der ins Wettrüsten einsteigt. Der Nervenkitzel des Publikums will immer neu stimuliert sein. «Reiz mal Repetition gleich Abstumpfung»: Diese Formel verwendet Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und schiebt nach: «Die Berge stehen in Jahrmillionen noch. Solche Spektakel aber muss man dauernd erneuern.»

Immer absurder werden die Projekte: Die Leute in Zermatt liebäugelten längere Zeit damit, auf ihrem Klein Matterhorn ein Gipfelhotel samt einem pyramidenförmigen Turm von 117 Meter Höhe zu platzieren. Dieser hätte aus dem 3883-Meter-Berg einen Viertausender gemacht.

Der Rest des guten alten Staunens

Dieser Plan ist wohl zu überkandidelt für die Realisierung. Anderes aber ist schon – oder wird – realisiert. Und so geraten die Berge immer mehr zu einer Kopie des Flachlandes. Teuer essen, ins Kino gehen, am Simulator spielen oder – wie auf dem Diablerets-Gletscher – eine rasante Rodelfahrt geniessen: Dafür müsste man doch eigentlich nicht ins Hochgebirge gondeln.

Okay, man schaut sich dort oben durchaus auch mal die nahen und fernen Gipfel an. Und verspürt dabei einen Rest jenes guten alten Staunens, das einst die Leute ins Gebirge gezogen hat."
"Ich wurde oft falsch verstanden. Häufig unternahm ich Dinge, die für andere eine Provokation waren."
Walter Bonatti (1930-2011)
Letzte Änderung: 02 Dez 2012 15:16 von kletterkiki.
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
  • Seite:
  • 1
Moderatoren: kletterkiki