"Nach einem tödlichen Klettersteig-Unfall ist die größte Rückrufaktion im Klettersport noch nicht abgeschlossen. Hersteller und auch Kunden sind aber schon jetzt um wertvolle Erfahrungen reicher.
Von Matthias Christler
Innsbruck – Der Klettersteigboom hat seinen ersten, kräftigen Dämpfer durchlebt. Die Hersteller wussten diesen Sommer wochenlang nicht, warum ein neues System an ihren Klettersteigsets, das den Normen eigentlich entsprach, reißen konnte. Die Klettersteiggeher waren verunsichert: Habe ich ein Set mit der gleichen Konstruktion? Hält mein Material einen Sturz aus? Wer gibt mir die Sicherheit zurück?
Seit dem 5. August 2012, als in Walchsee bei einem Sturz beide Äste des Klettersteigsets rissen und dadurch ein junger Urlauber starb, hat sich die Szene verändert. Tests hatten schließlich ergeben, dass die Stretch-Arme bei zu oft wiederholten Belastungen den Anforderungen nicht mehr standhalten. Drei Wochen nach dem Unfall startete die größte Rückrufaktion im Klettersport.
Einige Hersteller zogen ihre Produkte vorsorglich ein und tauschten sie aus. Jetzt, fast drei Monate nach dem Unfall, ruft auch Mammut vier Produkte zurück. „Die Klettersteigsets von Mammut zeigten nachweislich höhere Festigkeitswerte (als die im Sommer zurückgerufenen Produkte, Anm.). Eine unmittelbare Gefährdung kann ausgeschlossen werden, da die Produkte erst seit 2012 im Verkauf sind“, teilte Mammut in einer Aussendung mit. „Um in Zukunft jegliches Risiko auszuschließen, ruft Mammut bestimmte Produkte zurück“, heißt es nun aber weiter.
Das entscheidende Kriterium, ob ein Klettersteigset mit den elastischen Armen reißt oder nicht, ist das Alter und die Dauer der Belastung. Ein Hobby-Klettersteiggeher, der pro Jahr fünf Klettersteige geht, dehnt die Äste etwa 1500-mal. Bei einem ambitionierten Klettersteiggeher mit 15 Touren kommen schon 4500 Belastungszyklen zusammen. Und ein Verleihset, das im Jahr 75-mal verwendet wird, erreicht 22.500 Zyklen. Der TÜV Süd hat nach dem Unfall im August ein neues Prüfverfahren für die Langzeitbelastung entwickelt. Bei optimaler Wartung und Lagerung kann ein Klettersteigset mit elastischen Armen etwa 50.000 Belastungszyklen aushalten. Diese Zahlen helfen den Herstellern weiter – denn die gesetzliche Norm berechnet die Langzeitbelastung nicht mit ein.
Katrin Winkler, Geschäftsführerin vom Tiroler Hersteller AustriAlpin, kritisiert diese Norm: „Die wird inzwischen seit zehn Jahren überarbeitet, das ist ein sehr träger Apparat. Es dauert zu lang“, sagt sie. Ein Großteil der betroffenen Klettersteigsets von AustriAlpin wurde bereits ausgetauscht, die elastischen Arme entfernt und durch starre ersetzt. „Für uns war ganz klar, dass wir zur Sicherheit auf diese Variante zurückgreifen. Hier gibt es auch bei über 200.000 Belastungszyklen keine Ausreißer“, sagt Winkler nach Auswertung interner Tests.
Nur wenige Kilometer weiter im Stubaital wird ebenfalls am Austausch gearbeitet. Das Unternehmen Stubai greift auf ein bisher bewährtes System mit gerafften Armen zurück: „Das ist eine zertifizierte Weiterentwicklung des Vorgängers. Wir haben die Bestätigung, dass wir hier super Werte erreichen“, sagt Helmut Knoflach, Produktgruppenleiter Bergsport bei Stubai.
Die deutsche Firma Edelrid hat wiederum erneut elastische Arme eingebaut. Starre Arme, gerafftes System oder elastische Arme? Für den Kunden schwer zu erkennen, welches wirklich das sicherste ist. Welche Lehren soll er aus diesem Sommer ziehen?
Da Klettersteigneulinge praktisch aus dem Nichts zu einer Tour aufbrechen können, fehlt vielen das nötige Bewusstsein. Kletterausrüstung wie Sets, Gurte oder Helme sind nicht aus ewig haltbaren Materialien hergestellt. „Der Anwender muss das Produkt gewissenhaft pflegen und es auf seine volle Funktionsfähigkeit hin überprüfen“, sagt Knoflach. Vor allem Verleihsets seien mit Vorsicht zu genießen bzw. gar nicht zu empfehlen, ergänzt Winkler. „Weil man nie weiß, wer es davor und wie er es verwendet hat.“
Besonders jetzt am Ende der Saison muss Einiges beachtet werden, die Lagerung etwa: Das Klettersteigset sollte im Dunkeln, im Trockenen und nicht gespannt gelagert werden.
Besonders bei Produkten, die im Notfall über Leben und Tod entscheiden, darf eines, das meist nach dem Kauf sofort im Müll landet, nicht übersehen und überlesen werden: die Gebrauchsanweisung. Jeder Hersteller erklärt genau, wie das Klettersteigset so verwendet und gelagert werden soll, damit es bei einem Sturz auch seine volle Funktion erfüllt. Und Leben rettet."
Quelle:
www.tt.com/Freizeit/5596982-2/lehren-aus...ttersteig-saison.csp