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THEMA: Via Ferrata de Moiry

Via Ferrata de Moiry 12 Jan 2014 19:50 #1

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Es war alles ganz anders geplant! Nur gerade vier Stunden waren vergangen, seit ich das Bett aufgesucht hatte. Mit Ausschlafen war heute nichts, denn ich trug eine Uniform der Schweizer Armee und stand am Samstag Morgen auf dem Appell-Platz, um vom Kommandanten in den Wochenend-Urlaub verabschiedet zu werden.

Zugleich wurde unser Truppenbuchhalter ehrenvoll aus der Armee verabschiedet. Mein letzter Tag im Irrenhaus würde am folgenden Donnerstag sein. Dass wir am Vorabend jedoch gemeinsam bis in tiefe Nacht das lang ersehnte Ende unserer vaterländischen Dienstpflicht gefeiert hatten, durchkreuzte die ursprünglichen Pläne für meinen Wochenend-Urlaub: Nämlich Samstag früh ins Wallis zu fahren und bei schönstem Herbstwetter zwei tolle Klettersteige zu gehen, den Baltschieder Klettersteig und das Jägihorn. Aber nun stand ich angekatert im vernebelten Toggenburg.

Ich gebe es zu! Erst holte ich in meiner Wohnung den fehlenden Schlaf nach, bevor ich die wunderschöne Fahrt nach Brig wagte. Wie immer wurde ich auf dem Furkapass an den Film Goldfinger von 1964 erinnert, der dort gedreht worden war. Als ich nachmittags um halb vier meine Unterkunft in Gampel erreichte, war an eine Tagestour nicht mehr zu denken. Sollte ich zum dritten Mal die Via Ferrata du Belvedere bei Sion begehen? Nein. Das war mir dann doch zu langweilig. Also fuhr ich ins Val d’Anniviers, wo ich vor einem Jahr schon mal bei schlechtem Wetter den Einstieg zur Via Ferrata de Moiry angeschaut hatte.

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Die Informationstafel steht in einer Kurve nahe beim Fuss der Staumauer. Etwas skeptisch beäugte ich den durchgrünten Felshubbel, der links der Staumauer in die Höhe ragte. Im Wallis gibt es wirklich attraktivere Felsen als diesen schattigen Gneis-Haufen. Aber vielleicht würde das ja trotzdem eine schöne Sache.

Der Zustieg war in 10 Minuten erledigt und sofort ging der Klettersteig in die Senkrechte. Dank der reichlich verbauten Stahlbügel war jeder Tritt und jeder Griff vorgegeben. Das durchhängende Stahlseil dient ausschließlich zum Einhängen der Sicherungen. Einige Senkrechten und leichte Querungen später hatte ich die erste Hälfte des Steiges schon überwunden. Das soll es schon gewesen sein? Mit grandioser Aussicht auf eine fette Betonstaumauer?

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Die Fortsetzung schaute interessant aus. Zwanzig Meter quer nach links ansteigender und überhängender Fels versprachen eine kräftezehrende Herausforderung. Ich stieg ein und merkte schon bald, dass das hier knifflig werden könnte: Hier bestand akute Gefahr, den „Riesentod“ zu sterben!

Zur Erläuterung: „Zwergentod“ bezeichnet man beim Klettersteiggehen die Situation, dass die Tritte und Griffe soweit auseinander liegen, dass man als kleiner Mensch nicht mehr in der Lage ist, den Klettersteig zu absolvieren. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Querungen im Rio Sallagoni am Gardasee. Die Trittbügel sind so tief angeordnet, dass Kinder und kleine Leute die Karabiner nicht mehr umhängen können. Entsprechend sind beim „Riesentod“ die Tritte und Griffe so angeordnet, dass man sich als großer Mensch in den Steig „hineinfalten“ muss und wegen angewinkelten Armen und Beinen enorm viel Kraft lässt, während ein kleiner Mensch sich locker durch den Steig hangelt.

Nach dem Überhang war ich erledigt. Die Arme waren sauer, mein Atem ging schwer. Ich hatte schon wesentlich schwierigere Überhänge auf Klettersteigen der französischen Art bewältigt, aber diese Anordnung der Trittbügel machte mich in kurzer Zeit fertig. Zum Glück folgten im oberen Teil nur noch Senkrechten, die leichter zu bewältigen waren, mit einem grandiosen Finale an einem Betonmäuerchen, was ja auch zur allgegenwärtigen Aussicht auf die Moiry-Staumauer passte. Bei einer kleinen Hütte mit Antenne machte ich erst mal eine Rast.

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Nun stieg ich erst zum Restaurant ab und konnte mich für den Rückweg zwischen zwei Varianten entscheiden. Schlichte Gemüter nehmen den Tunnel und hatschern die Straße runter. Ich liebe aber die Schönheit der Alpen und wanderte über die Staumauer zur anderen Talseite, wobei ich auch noch etwas schweizerische Ingenieurgeschichte erleben durfte.

Der Moiry-Staudamm wurde von Alfred Stucky, einem führenden Schweizerischen Bauingenieur geplant und umgesetzt. Er hatte 26 Staudämme geplant und dabei besonderes Augenmerk auf die Ästethik gelegt, womit er auch unter Architekten einen großen Namen hatte. Einer seiner Lieblingssprüche war: „Eine schlecht entworfene Talsperre bleibt schlecht, auch wenn sie exakt berechnet wurde, und ein guter Entwurf bleibt gut, auch wenn er schlecht berechnet wurde.“ Besonders die Moiry-Staumauer ist nicht einfach ein Wall, sondern sie besticht durch seine parabolische Form. Sein Meisterstück war die Staumauer „Grande Dixence“, die 1957 eröffnet wurde und seither mit 285 m Höhe die höchste Staumauer Europas und die fünfthöchste der Welt ist.

Der von der Abendsonne beschienene Dent Blanche macht jedoch deutlich, wer wirklich der größte Architekt ist. Das Bergpanorama, welches sich in der glatten Wasseroberfläche spiegelte, kann selbst durch ein Foto nur unzureichend eingefangen werden. Am besten einfach selbst mal hingehen und die wundervolle Aussicht genießen.

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Letzte Änderung: 12 Jan 2014 19:56 von BLR.
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Via Ferrata de Moiry 12 Jan 2014 19:54 #2

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Ein Beeler-Tourenbericht ist natürlich nur echt mit Topo:

VS_Moiry_Topo2.jpg


zum Vergleich der "Gneishaufen" in der Ansicht:

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